Montag, 18. Oktober 2010

Vogelsberger Beutelchen (Beulches)

Hier im Vogelsberg isst man ein traditionelles Gericht, das sich "Beulches" nennt. Die Bezeichnung kommt von "Beutelchen" und meint die kleinen Baumwollsäckchen, in denen die Kartoffel-Fleisch-Klöße gekocht werden. Vor allem im Herbst veranstalten zahlreiche Landfrauenvereine in der Region "Beulchesessen", die immer restlos ausgebucht sind. Und da ich es Freunden von mir schon im Sommer versprochen habe, kochte ich am Wochenende diese leckeren Beutelchen für sie.
Für alle, die sie nachkochen möchten, gibt es hier das Rezept inklusive Anleitung:

Zutaten für 6-8 Personen
4-5 kg mehlig kochende Kartoffeln
3 Eier
1 Tasse Kartoffelmehl
2-3 Stangen Lauch
ca. 1 kg mageres Solberfleisch oder Kasseler (evtl. Bratenreste, Cervelatwurst oder  Bratwurst)
Muskat
Majoran
Salz, Pfeffer
6-7 Baumwollsäckchen (Siehe Anleitung) oder Stoffservietten

Wer das Glück hat, mehlig kochende Kartoffeln zu bekommen, sollte unbedingt diese verwenden, weil der Teig dann besser bindet. Man erzielt aber auch mit vorwiegend fest kochenden Knollen köstliche Resultate. Von den 5 kg Kartoffeln koche ich ca. 1 Kilo, damit ich einen geschmeidigeren Kloßteig erhalte. Die restlichen 4 kg werden gerieben. Niemand wird dazu heute noch eine Handreibe nehmen, es sei denn, man stellt nur eine kleine Menge her. Elektrisch hat man zwei Möglichkeiten: Küchenmaschine oder Entsafter. Die Küchenmaschine produziert einen gleichmäßigen Teig, in dem das Kartoffelwasser und die Stärke noch enthalten sind. Man drückt ihn anschließend durch ein Küchentuch, damit das Wasser abfließt. Das Gute: Die Stärke bleibt enthalten. Arbeitet man mit dem Entsafter, hat man die Kartoffelmasse zwar schon ziemlich trocken, muss aber beim übrig gebliebenen Saft warten, bis sich die Stärke abgesetzt hat, das Wasser abgießen und dann die Stärke wieder unter den Teig rühren. Ich bevorzuge die erste Methode.


Vielen wird die Kartoffelmasse grau. Das hat nichts mit der Qualität der Kartoffeln zu tun, sondern hängt schlichtweg damit zusammen, dass die geriebenen Kartoffeln an der Luft oxidieren. Einige traditionelle Klöße heißen deshalb auch „graue“ oder „grüne“ Klöße. Am Geschmack ändert das nichts, sieht nur nicht ganz so ästhetisch aus. Wer die Klöße schön weiß haben möchte, muss schlichtweg Antioxidantien dazugeben. Entweder durchmischt man die geriebenen Kartoffeln sofort mit rund einem Liter Wasser, dem man etwas Essig dazugegeben hat und presst die Masse anschließend aus, oder man verwendet Kloßweiß. Das ist im Prinzip dasselbe, nur in Pulverform. Man mischt es an und durchspült ebenfalls die Masse vor dem Auspressen. Allerdings findet man diese Zutat heutzutage nur noch in wenigen Lebensmittelläden (beispielsweise Haco Weiß von Lucullus).
Die Masse gebe ich anschließend auf zwei Portionen in ein großes Küchenhandtuch, das ich in ein Sieb gelegt habe und presse den Kartoffelteig dann gut aus. Der Teig soll später die Konsistenz von ganz normalem Knödelteig bekommen, damit die Beulches nicht zerfallen, wenn sie aus den Säckchen kommen.






In die roh geriebenen Kartoffeln gebe ich dann drei Eier, das zerstampfte Kilo gekochte Kartoffeln, den klein geschnittenen Lauch (kleine Streifchen) und das Solberfleisch. Früher waren die Beulches ein Resteessen und man hat Wurst- und Bratenreste und übrige, gekochte Kartoffeln vom Sonntag oder von Festen darin weiterverwertet. Somit flog alles rein, was weg musste. Meine Oma hat Bratenreste genommen, Solberfleisch, Presskopf (Schwartemagen), Blutwurst, grobe Bratwürstchen und vieles mehr. Am besten schmecken Beulches aber mit magerem Solberfleisch. Das ist gepökeltes Schweinefleisch. In anderen Gegenden kauft man Rippchen oder Kasseler, das ist im Prinzip dasselbe. Das Fleisch muss in kleine Würfelchen geschnitten werden. Sind die Fleischstücke zu groß, zerfällt das Beulches nämlich später.


Anschließend mischt man noch eine gute Hand voll Kartoffelmehl unter, damit der Teig fester wird. Da muss man einfach schauen, wie feucht das Gemisch noch ist und ein wenig nach Gefühl arbeiten. Es gibt auch Leute, die eingeweichte Brötchen oder Grieß, Mehl oder Maisstärke untermischen. Ich halte mich ans Kartoffelmehl, weil sonst der typische Kartoffelgeschmack und die etwas glitschige Konsistenz der fertigen Beulches etwas leidet. Besonders von Weizenmehl und Brötchen bekommt man leicht einen etwas mehligen Geschmack und eine recht pappige Konsistenz, die meiner Meinung nach in Semmelknödel gehört, aber nicht in Beulches.
Dann salzt man ausreichend und gibt Pfeffer und etwas Majoran dazu. Ich reibe noch ein wenig Muskat in den Teig. Man muss aber vorsichtig sein, damit es nachher nicht hervorsticht.

 

Jetzt wird der Kloßteig in die Stoffsäckchen gefüllt. Die kann man leider nirgends kaufen, sondern muss sie selbst nähen. Dafür verwende ich Gaze, ein ungebleichter, mullähnlicher Baumwollstoff. Den gibt es ganz günstig bei Ikea. Man kann aber auch ein altes Bettlaken nehmen oder einen anderen dünnen Baumwollstoff. Aus Leinen würde ich sie nicht nähen, da der Stoff einfach zu hart ist. Am besten schmecken Beulches, wenn sie in kleineren Säckchen gekocht werden. Dazu schneidet man Stoffquadrate von 20x30 cm ohne Nahtzugabe. Man faltet sie der Länge nach, so dass man Säckchen erhält, die rund 10x30 cm groß sind. Man muss die Ränder vorher versäubern oder eine Doppelnaht nähen, damit man später keine Fussel im Teig hat. Außerdem werden die Säckchen beim Befüllen auf Links gedreht, damit die Naht außen liegt und sich nicht in den Kloßteig drückt und somit nachher das leckere Gebilde zerreißt. Ich habe für die angegebene Menge 7 Säckchen benötigt. Für eine vierköpfige Familie kommt man mit 4 Säckchen aus. Wer nicht nähen kann, nimmt Stoffservietten und schnürt den Kloßteig fest darin ein.

Ich befülle die Beutel meist zu 2/3 und drücke sie dann nochmal ordentlich aus. Dann binde ich die Säckchen mit einem Baumwollfaden zu. Die gefüllten Beutelchen kommen nun für 60-75 Minuten in sanft wallendes Salzwasser. Das heißt, dass sie nach einer Stunde fertig sind, man sie aber ruhig noch eine Viertelstunde weiter ziehen lassen kann, falls die Lieben noch nicht pünktlich zu Tisch sind.


 
Wenn man sie erst einmal aus dem kochenden Wasser nimmt, muss aber alles recht flott gehen: Die Säckchen werden unter kaltem Wasser abgeschreckt, der Baumwollfaden zerschnitten und das Beulches sofort aus dem Beutel gedrückt. Das Abschrecken ist unbedingt notwendig, da sich sonst der Kloß nicht aus dem Stoffsack löst. Auch überzählige Beulches muss man unbedingt aus dem Säckchen nehmen, weil man, ist er erst einmal erkaltet, den Teig nie wieder vom Stoff lösen kann.


So, und nun serviert man die Prachtkerle mit Zwiebelsoße oder Specksoße und grünem Salat. Im Vogelsberg reicht man in manchen Gegenden auch Apfelbrei dazu. Und am besten schmecken sie, wenn man die Reste am nächsten Tag in dicke Scheiben schneidet und in der Pfanne anbrät.

Guten Appetit.


2 Kommentare:

  1. Super...

    heute das erste mal gegessen und gleich nach dem Rezept gesucht.
    Prima beschrieben, auch die Säckchen! VG Inge

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  2. Hallo, ich habe gerade ihren Blog von den Beulches gelesen und würde das gerne mal ausprobieren.

    welchen Stoff ist der richtige von IKEA:

    LENDA, BOMULL oder DITTE

    ich hoffe sie können mir helfen und ich bekomme eine kurze info von ihnen. würde mich sehr freuen und



    verbleibe mit freundlichen grüßen

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